Über das Projekt



Einladung:   Einladung Eine Brücke für die Utopie

Im Corona-Sommer 2020 hat der in Berlin lebende Künstler Martin Schepers eine künstlerische Reise entlang der Elbe gemacht. Von Dresden nach Hamburg ging die Wanderung und Schepers hat neben der eigenen künstlerischen Recherche in den verschiedenen Orten von den Menschen, die dort leben, Entwürfe für eine utopische Brücke gesammelt. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Elbe und dieser Reise wurde gezeigt in der Galerie Ursula Walter in Dresden (www.martinschepers.de).


Die Reise ging auch durch Dömitz und entlang der alten rudimentären Eisenbahnbrücke, die nun wie eine anonyme Skulptur in der Landschaft steht. Diese Brücke selbst ist ein Kunstwerk und bietet eine einzigartige Auseinandersetzung mit dem Beziehungsgeflecht von Menschen und Orten in der Umgebung. Das Projekt „Eine Brücke für die Utopie“ stellt den erweiterten Versuch dar, mit einer Gruppe unterschiedlichster künstlerischer Positionen als Kollektiv auf die Inhalte dieses Ortes zu schauen, und diesen zu befragen.


Insgesamt werden 20 verschiedene künstlerische Positionen im September 2022 an der Brücke mit künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum das Verhältnis von Mensch – Brücke – Fluss thematisieren. Dabei soll es darum gehen, die symbolischen Ebenen, die eine Brücke aus anthropologischer Sicht bietet, ebenso zu untersuchen wie die konkreten historischen und gesellschaftlichen Umstände, die sich in den Bauwerken in Dömitz manifestieren. Das Ausstellungskonzept beschränkt sich nicht ausschließlich auf den Corpus der alten Eisenbahnbrücke. Es geht darum, das Netzwerk von Beziehungen in der Region aufzudecken, welches sich um die Brücke herum aufspannt. Welche imaginären Verbindungslinien sind im Raum oder können entstehen? Welche verborgenen Fäden liegen noch verdeckt in der Landschaft? Welche Erweiterungen können geschaffen werden? Wie verhält sich der Fluss der Elbe zu den menschlichen Bauwerken? Die Tatsache, dass die Brücke im September 2022 einer intensiven Baumaßnahme unterzogen wird und nicht betretbar ist, begreifen die Beteiligten als eine besondere Chance, einen historisch einmaligen Zeitpunkt als Möglichkeit der künstlerischen Intervention zu nutzen. Ohne Ironie ist festzuhalten, dass eine bauliche Maßnahme, bei der die Brückensäulen ausgetauscht werden und die Brücke dabei angehoben werden muss ideal in eine künstlerische Ausstellung dieses Formates passt und als eigenständiger Beitrag gelesen werden kann.


Es geht bei diesem Projekt darum, Verbindungen und Stationen der Begegnung zu erzeugen und räumliche Beziehungen in der Region zu befragen. Einfach gesagt: Wie lässt sich eine halbe Brücke weiterdenken oder wie lässt sich eine noch nicht vorhandene Brücke imaginieren? In Dömitz steht die alte Eisenbahnbrücke wie eine anonyme Skulptur im öffentlichen Raum, einige Kilometer weiter nördlich ist der Bau einer neuen Brücke zwischen Neu Darchau und Amt Neuhaus in der Überlegung. Unabhängig von den konkreten Entwicklungen einer Landschaftsplanung soll das utopische Potential von dem Gebäudetyp Brücke künstlerisch befragt werden.


Die Elbe als deutsch-deutscher Grenzfluss hat längst nicht nur die Regionen beeinflusst und geprägt, die von dieser Grenze betroffen waren. Der Soziologe Steffen Mau beschreibt in seinem Buch „Lütten Klein“ die Wiedervereinigung als Fraktur Prozess. In der Medizin beschreibt der Begriff Fraktur eine oberflächlich geheilte Struktur, die unter der Oberfläche noch nicht in Ordnung ist. In verschiedensten Formen wird deutlich, wie wenig die Wiedervereinigung ein wechselhafter Prozess von zwei Seiten gewesen ist. Eher war es eine Übernahme. Dem Ausschluss bestimmter historischer Erfahrungen ist mit Vorsicht und erhöhter Aufmerksamkeit zu begegnen, weil die Artikulation der eigenen Geschichte Grundbedürfnis eines jeden Menschen ist.


Das ist der Kerngedanke dieses künstlerischen Projektes: Wie lässt sich eine Brücke spannen zwischen der erlebten Geschichte und der zu gestaltenden Zukunft. Diese Frage betrifft längst nicht nur das Verhältnis von west- und ostdeutscher Geschichte. Dieses Verhältnis aber lässt sich verstehen wie ein Brennglas der Frage: Wie kann unterschiedlich erlebte Geschichte in eine gemeinsam gestaltete Zukunft führen? Eine Brücke für die Utopie.



Alle angefragten Künstler*innen sind eingeladen, mit ihrer persönlichen Vorgehensweise eine ortsspezifische Arbeit zu entwickeln. Diese können sowohl skulptural, malerisch oder medienbasiert (Sound-, Licht-, Film-Installation) sein.